Anfang April.
Keine 1. Aprilscherze. Dafür komische WhatsApp Beiträge: Witze über Toilettenpapier, das gehamstert wird, über Trump, der den Leuten rät, Desinfektionsmittel zu trinken, Tanzeinlagen und so weiter. Wir laufen, wir spazieren, wir machen ein bisschen Garten. Es ist langweilig. Die Restaurants beginnen mit dem Take away, aber was soll’s! Uns fehlt nicht das gute Essen, das können wir selber, uns fehlt die selbstverständliche Geselligkeit.
Am 12.4., Ostersonntag, endlich der erste Besuch, wir sitzen mit einem befreundeten Paar (Röbi und Marianne) an den vier Ecken unseres Gartentisches: Ein Quäntchen Normalität!
Langsam fällt man in eine Art Winterschlaf, auch wenn das Wetter meist prächtig ist. Die Wälder sind voll von Bikern und Wanderern, man hält Distanz, aber immerhin, man sieht sich wieder.
Am 27. 4. Öffnen die Baumärkte und die Gärtnereien wieder; und auf den 1. Mai Hotels und Restaurants. Mit seltsamen Bedienungsritualen zwar, aber immerhin! Wir verbringen mein Geburiwochenende im Giessbach, einem Romantikhotel am Brienzersee. Es regnet zwar wie immer an meinem Geburtstag, aber wir sind draussen.
Und am 5.5. kann ich endlich meine Augenlinse links einsetzen lassen und wieder Autofahren, etwas, was mir durch die Krise seit Monaten verwehrt war, da ich einfach fast nichts mehr gesehen habe.
Am 11.5. gehen Schulen und alle Läden wieder auf.
Aber gleichzeitig beginnt das Chaos seinen Lauf. Nachdem nun nicht mehr nur der Bundesrat am Hebel ist, hat männiglich (vor allem männiglich) das Gefühl, uns seine Meinung aufdrängen zu müssen.
Dies schreibe ich so, weil ich verschiedene Essays gelesen habe, in denen sich Frauen fragen, weswegen in Krisen immer wieder Männer vorne stehen: Die Antwort ist nicht einfach, die Männer waren halt immer die Krieger, und die Frauen haben hinterher aufgeräumt. Die Krieger: zum Beispiel Virologen, Politiker, Oekonomen; die Aufräumerinnen: Ärztinnen, Pflegerinnen, Reinigungsfrauen. Zugegeben, da läuft etwas falsch!
Und da es sehr viele Epidemiologen Infektiologen und Virologen hat, sind das sehr viele, oft nicht einheitliche Meinungsäusserungen!
Die COVID-19 APP
Die COVID-19 App ist ein schönes Beispiel dafür, wie viele Wissenschaftler immer noch im Elfenbeinturm sitzen. Da produzieren sie eine App, die zwar, wenn sie alle anwenden würden, gar nicht so schlecht wäre, aber eben: für so eine Sache braucht es neben der Theorie auch sehr viel Praxis. Und da zeigt sich, dass auch Epidemiologen und Virologen im Alleingang nicht ohne Fehl sind, auch wenn sie Grosses leisten: Es braucht halt eben auch männliche und weibliche Politiker, Juristen, Soziologen und einfach Praktiker, wie Ärzte, Lehrer, Oekonomen.
Die App wurde als Wundermittel für das Tracing der Epidemie angepriesen. Per Bluetooth meldet das Smartphone seiner Besitzerin, seinem Besitzer, ob sie oder er mehr als eine Viertelstunde und näher als zwei Meter Kontakt mit einer als positiv getesteten Person gehabt hat. Nur: Erstens haben alle Fahnenstangen oben ein Ende, auch die der staatlichen Bevormundung. Also: Die App muss laut Datenschutzgesetz freiwillig sein. Denn es ist nicht auszuschliessen, via App ein einzelnes Handy zu lokalisieren. Dann: Was passiert, wenn man mit einer positiven getesteten, aber geschützten Person in Kontakt kommt (hinter einer Scheibe, beispielsweise? Alle Personen, die mit der Kontaktperson in irgendeiner Beziehung stehen oder standen, müssten in so einem Fall in Quarantäne. Diese Quarantäne ist obligatorisch, was kein Problem ist beim üblichen Tracing positiv getesteter Menschen durch staatliche Stellen, hier ist Verletzung der Quarantänebestimmungen sogar strafbar. Was aber, wenn eine Person, die mit einem Cov-2-Träger sich per App als kontaminiert meldet: Die App ist dezentral, freiwillig, die betroffene Person muss sich selber zur Quarantäne melden: Was, wenn ein solcher Mensch beschliesst, die Meldung zu ignorieren? Ist sie/er dann strafbar? Und wer bezahlt die verlorene Arbeitszeit? Wenn man angestellt ist? Wenn man selbständig ist? Ja, diese App zeigt an einem schönen Beispiel, wie vernetzt (und vertrackt) der Weg aus dem Notregime zurück in die Demokratie ist, den wir ja alle unbedingt gehen wollen und müssen!
Und zu guter Letzt in diesem Abschnitt etwas, das mich bedenklich stimmt:
Was mich in letzter Zeit nervt, ist aber die durch die Lockdown-Massnahmen beginnende Desolidarisierung. Die Ungeduld der „Jungen“, die sich (unter anderem) darin äussert, dass man die Krise den „Alten“ anzulasten beginnt. Dabei hat doch auch uns niemand gefragt! Es stört mich, dass diese neue Erscheinung des Generationengrabens, die wir zuerst bei der Klimadiskussion erleben mussten, hier fortgeschrieben wird, und zwar auch von renommierten Journalisten. Am Anfang der Notmassnahmen musste verständlicherweise schnell gehandelt werden. Da gab es holzschnittartige, summarische Entscheide, wie die Definition der Risikopersonen. Man schloss Altersheime, verbot Grosseltern den Kontakt mit Kindern und Familie, und definierte auch den Begriff ü65. Hierzulande immer noch das Pensionierungsalter der Männer. Seit dem 30. April gab es bei uns noch 80 Corona-Tote, 700 Kranke liegen heute noch im Spital-Bett, 26000 sind bereits wieder gesund. Über 80% der Todesfälle betreffen Menschen über 80 Jahre.
Es ist mir klar, dass die unter 65jährigen nun deswegen aufzumucken beginnen; die Zahlen sprechen für sie. Aber das auf die älteren Menschen abzuschieben, ist gefährlich, es nährt auch den restlichen Rassismus, wie man sieht: Antisemiten, Muslimgegner, Anti-Migrationsturbos. Keile in die Gesellschaft zu treiben, ist immer heikel, weckt negative Emotionen! Aber das wollen die Populisten rechts und ganz links ja. Sie greifen bereits wieder zu den gewohnten Waffen: Gegen alles lärmen, was von „oben“ kommt, nur ja keine eigenen Vorschläge machen: So macht man zwar nichts falsch, aber halt auch eben: Nichts! Und die zu Recht umstrittenen Lockerungsmassnahmen sind dafür natürlich ein gefundenes Fressen. Es weiss ja wirklich niemand so genau, wie es herauskommen wird.
Darum will ich auch gar nicht weinerlich werden und aufzählen, was wir – was für ein blöder Ausdruck – „Babyboomer“(plus) alles an Gutem vollbracht haben, nebst der uns vorgeworfenen Zerstörung des Planeten, deren Unaufhaltsamkeit kurioserweise als Axiom aufgefasst wird, ohne dass jemand deswegen in Panik verfällt.