Heute war wieder mal so ein Tag, an dem ich an unserem Land fast verzweifelt bin: Da kommt doch durch den Tagesanzeiger ans Licht, dass beim Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden geschummelt worden ist (Beamtensprech: sein soll). Und dass dies der Regierung seit mindestens fünf Jahren bekannt ist. Dass unsere Regierung es nicht für nötig gehalten hat einzuschreiten, ja nicht mal darüber zu informieren. Also: Es blieb Staatgeheimnis, dass wir beschissen werden.
Klar, wir konnten ja immer noch über die Geschäfte abstimmen. Nur: es hat sich gezeigt, dass man mit Geld Unterschriften sammeln kann, will heissen, dass eine reiche Einzelperson durchaus in der Lage ist, ein Referendum oder eine Initiative durchzuziehen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die Themenwahl an sich zu reissen, zu bestimmen, worüber gesprochen werden soll.
Es scheint dies aber letztlich niemanden in Bern so recht zu motivieren, wirklich etwas zu unternehmen. Man ist offenbar zufrieden damit, auf irgendeine Weise die Unterschriften zusammen zu bekommen, damit man im Gespräch bleibt und das Thema weiter beackern kann, es sind ja oft Jahre, die vergehen, bis eine Initiative zu Abstimmung kommt. Alle tun dies ja….
Muss man also die Demokratie in unserem Land neu überdenken? Das System, dass man Firmen einspannen kann, die Unterschriften wie auch immer zusammenbekommen, damit ein bestimmtes Thema im Gespräch beleibt, unter Umständen auch als Drohung, um einen Gegenvorschlag auszulösen?
Nicht unbedingt, meine ich. Es gibt nun Stimmen, die die gute alte Zeit loben, wo engagierte Menschen am Abstimmungssonntag in der Kälte vor dem Abstimmungslokal ausharrte, um ein paar Unterschriften zu ergattern für eine Initiative, für die sie ihr Herzblut zu opfern bereit waren. Aber so war es in der Regel ja auch nicht!
Initiativen waren zwar immer schon Angriffe auf die selbstverständliche Akzeptanz des Mainstreams durch die Gesellschaft. Aber früher war es einfacher, Mitstreiter zu finden, da die Leute näher zusammenlebten, miteinander sprachen, sich nicht in Blasen absonderten.
Heute hasten die Menschen aneinander vorbei, ohne sich umeinander zu kümmern, ohne sich anzusehen, ohne Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören. Keine Chance mehr, vor dem Urnenlokal rumzustehen, es kommt ja niemand mehr am Sonntagmorgen dahin!
Unterschriften werden nicht mehr gesammelt, sie werden erworben. Es ist ein Geschäft geworden. Und wo Geschäft, da Missbrauch. Leider.
Nochmals: Ist das schlimm, eigentlich? Ist es nicht besser, dass Initiativen noch zustande kommen, wie auch immer? Brauchen wir die Referenden noch?
Ich weiss es nicht.
Einzig klar ist: Das Fälschen von Unterschriften muss verhindert werden. Aber das Sammeln durch Profis an sich?
Ich weiss es nicht. Denn da stehen wir wieder vor der Frage: Ist unsere komplizierte Demokratie noch zeitgemäss? Darüber zerbreche ich mir schon lange den Kopf!